BGH entscheidet zum gewerblichen Ausmaß im Rahmen von Gestattungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG (I ZB 80/11)
BGH entscheidet zum Drittauskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern und über gewerbliches Ausmaß beim illegalen Filesharing ( § 101 Abs. 2 UrhG)
Der 1. Zivilsenat des BGH (I ZB 80/11) hat entschieden, dass das Vorliegen eines „gewerblichen Ausmaßes“ der Rechtsverletzung im Rahmen des Auskunftsanspruches nach § 101 Abs. 2 UrhG nicht erforderlich ist. Ein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung sei nämlich nicht Anspruchsvoraussetzung des Drittauskunftsanspruches des § 101 Abs. 2 UrhG. Dieser setze (anders als der Auskunftsanspruch in § 101 Abs. 1 UrhG) lediglich voraus, dass es sich um eine offensichtliche Rechtsverletzung handele, wodurch der in Anspruch genommene Dritte (Internetprovider) geschützt werden solle. Der Anspruch sei daher „in aller Regel ohne weiteres begründet„.
Hintergrund zum urheberrechtlichen Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 UrhG im Zusammenhang mit illegalem Filesharing (gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung)
Seit Einführung des zivilrechtlichen Drittauskunftsanspruches gegenüber Internetprovidern durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum sind fast 4 Jahre vergangen. Nun hat sich der Bundesgerichtshof erstmalig mit der Frage der Anspruchsvoraussetzungen befasst. Bislang existierte hierzu eine teils widersprüchliche bzw. stark divergierende Rechtsprechnung, insbesondere hinsichtlich des Merkmals „gewerbliches Ausmaßes“ (§ 101 Abs. 1 UrhG). Bisher stand allerdings nicht so sehr die Frage, ob die Rechtsverletzung überhaupt ein gewerbliches Ausmaß aufweisen muss (dies wurde von den meisten Gerichten bejaht), sondern vielmehr die Frage, wann ein solches gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung eigentlich erreicht sei im Mittelpunkt der Diskussion.
Abgesehen von der völlig abwegigen Mindermeinung des LG Frankenthal hatten sich „zwei Lager“ geblidet. Das OLG Köln verlangte, dass die Rechtsverletzung ein gewerbliches Ausmaß haben muss, was dann der Fall sei, wenn sich das urheberrechtlich geschützte Werk noch in der „marktrelevanten Verwertungsphase“ befindet. Das OLG Köln schränkte damit den Urheberrechtsschutz, der vom Gesetz eigentlich 70 Jahre post mortem auctoris gewährt wird, faktisch massiv ein. Denn, wenn der Rechtssuchende bereits nach einer 6-monatigen Verwertungsphase schutzlos gestellt wird, verkommt die deutlich längere Schutzfrist zu einer leeren Hülle. Da diese Ansicht den Urheberrechtsschutz eher einschränkte, als dessen Durchsetzung zu verbessern (was eigentlich der Sinn und Zweck der Einführung des Drittauskunftsanspruches war), konnte die Ansicht des OLG Köln nicht überzeugen. Das OLG München hingegen verlangte zwar auch das Vorliegen von Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß. Es sah das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung bei Filesharing aufgrund des damit verbundenen massiven Eingriffes in das Schutzrecht aber grundsätzlich als gegeben an. Hierdurch wurde vom OLG München jedenfalls der Wertungswiderspruch des OLG Köln beseitigt. Einzig das LG Bielefeld forderte hinsichtlich des Umfangs der Rechtsverletzungen – wie nun der BGH – gar kein gewerbliches Ausmaß.
Auszug aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofes
„Wäre ein Auskunftsanspruch gegen Dritte nur bei einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß gegeben, könnten die Hauptansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz auch nur bei einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß durchgesetzt werden. Der Rechtsinhaber, dem Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz aber nicht nur gegen den im gewerblichen Ausmaß handelnden Verletzer, sondern gegen jeden Verletzer zustehen, wäre dann insoweit faktisch schutzlos gestellt. Dies widerspräche dem Ziel des Gesetzes, Rechtsverletzungen im Internet wirksam zu bekämpfen. Insbesondere für Tauschbörsen, bei denen in großem Umfang Urheberrechtsverletzungen stattfinden, besteht ein besonderes Interesse an einer Auskunft, ohne die der Verletzer nicht ermittelt werden kann (BT-Drucks. 16/5048, S. 39 f.). Denn solche massenhaften Rechtsverletzungen beeinträchtigen die urheberrechtlich geschützten Rechte und wirtschaftlichen Interessen des Rechtsinhabers auch dann ganz erheblich, wenn die einzelne Rechtsverletzung für sich genommen kein beträchtliches Ausmaß erreicht.
[…]
Die Begründetheit des Antrags nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG auf Gestattung der Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte (dynamische) IP-Adressen zugewiesen waren, setzt jedenfalls in den Fällen, in denen – wie hier – ein Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat, grundsätzlich kein besonderes und insbesondere kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraus. Ein solcher Antrag ist vielmehr unter Abwägung der betroffenen Rechte des Rechtsinhabers, des Auskunftspflichtigen und der Nutzer sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in aller Regel ohne weiteres begründet. Dagegen bestehen weder unionsrechtliche noch verfassungsrechtliche Bedenken.“ (BGH, Beschluss vom 19.4.2012, I ZB 80/11)
Drittauskunftsanspruch verfassungskonform
Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss außerdem klargestellt, dass die Vorschrift des § 101 UrhG bzw. der darin gesetzlich normierte Drittauskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet und auch mit Unionsrecht in Einklang steht. Der BGH hat hierzu wie folgt ausgeführt:
„Die Verwendung der Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung soll die Durchsetzung der ebenfalls mit Verfassungsrang nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechte von Urhebern und Inhabern anderer nach dem Urheberrechtsgesetz geschützter Rechte ermöglichen, die ansonsten den Rechtsverletzer nicht ermitteln könnten und damit faktisch schutzlos gestellt wären. Die Rechte der Internet-Provider und Telekommunikationsunternehmen treten demgegenüber zurück. […] Die betroffenen Rechte der Nutzer haben gleichfalls geringeres Gewicht. In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung ist der Verletzer, über den der Dritte Auskunft erteilen soll, nicht mehr schutzwürdig (BT-Drucks. 16/5048, S. 39). Seine Rechte werden durch die Auskunftserteilung nicht in besonders schwerwiegender Weise beeinträchtigt. […] Es steilen sich keine Fragen des Unionsrechts, die eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gebieten. “ (BGH, Beschluss vom 19.4.2012, I ZB 80/11)
Weitere Infos zu der Entscheidung finden Sie hier sowie auf der Internetseite des BGH.
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