Filesharing: Anschlussinhaber trägt Beweislast bzgl. bestrittener Tatsachen, die er zur Widerlegung der gegen ihn streitenden tatsächlichen Vermutung vorträgt (OLG München, Urteil v. 14.1.2016, 29 U 2593/15)
Anschlussinhaber trägt im Rahmen der gegen ihn streitenden tatsächlichen Vermutung und der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast im Bestreitensfalle die Beweislast bezüglich der Behauptung, dass ein Dritter die Rechtsverletzung begangen hat
Das OLG München hat mit Urteil vom 14.1.2016 (29 U 2593/15) unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (zuletzt in Urteil v. 11.6.2015, I ZR 75/14) entschieden, dass der Anschlussinhaber die Beweislast bezogen auf diejenigen Tatsachen trägt, die er zur Erschütterung der gegen ihn streitenden tatsächlichen Vermutung behauptet, wenn diese Tatsachen streitig sind.
Das OLG München führt hierzu wie folgt aus (Urteil v. 14.1.2016, 29 U 2593/15):
„Eine tatsächliche Vermutung begründet einen Anscheinsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; NJW 2010, 363 Tz. 15; NJW 1993, 3259; jeweils m. w N.), zu dessen Erschütterung nicht allein der Hinweis auf die Möglichkeit eines anderen Verlaufs genügt; es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, aus denen sich die ernste Möglichkeit eines anderen als des vermuteten Verlaufs ergeben soll, die gegebenenfalls vom Beweisgegner zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden müssen (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; Beschl. v. 6. Juli 2010 – XI 2R 224/09, juris, Tz. 10; NJW 1993, 3259; NJW 1991, 230 [231]; Greger in: Zöller, ZPO, 31, Aufl. 2016, vor § 284 Rz. 29; Bacher in: Vorwerk/Wolf, Beckscher Online- Kommentar, ZPO, Stand 1. September 2015, §284 Rz. 98; Foerste in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 286 Rz. 23; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 286 Rz. 13; Rinken in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2015, § 286 Rz. 60; Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 286 Rz. 65).“
Bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur tatsächlichen Vermutung und zur sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers bei illegalem Filesharing
Der Bundesgerichtshof hatte zuvor unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast bei Filesharingfällen zuletzt mit Urteilen vom 11.6.2015 (I ZR 75/14) entschieden, dass der Anschlussinhaber die tatsächliche Vermutung nicht dadurch widerlegen kann, dass er lediglich die abstrakte Nutzungsmöglichkeit seines Internetanschlusses durch Familienangehörige behauptet.
„Der Inhaber eines Internetanschlusses, über den eine Rechtsverletzung begangen wird, genügt seiner sekundären Darlegungslast im Hinblick darauf, ob andere Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten, nicht dadurch, dass er lediglich pauschal die theoretische Möglichkeit des Zugriffs von in seinem Haushalt lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss behauptet (Fortführung von BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 – BearShare).“ (BGH, amtlicher Leitsatz zum Urteil v. 11.6.2015, I ZR 75/14 – Tauschbörse III)
„Soweit die Revision geltend macht, Raum für eine tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Beklagten bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht, wenn der lnternetanschluss von mehreren Personen im Haushalt genutzt werde, lässt sie außer Acht, dass es nicht auf die Nutzungsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern konkret auf die Situation zum Verletzungszeitpunkt ankommt.“ (BGH, Urteil v. 11.6.2015, I ZR 75/14, Rn. 39)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bleibt es also bei der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers und dieser hat für die über seinen Anschluss begangene Rechtsverletzung (als Täter) einzustehen, wenn es nicht feststeht, dass ein Dritter die Verletzungshandlung mit alleiniger Tatherrschaft begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11.6.2015 , I ZR 75/14 – Tauschbörse III, Rz. 48). Bestreitet der Verletzte (Rechteinhaber) die Behauptung des Anschlussinhabers, dass eine konkrete Person zum Tatzeitpunkt Zugriff auf den Internetanschluss gehabt hätte und, dass seine Nachforschungen ergeben hätten, dass diese Person als Täter mit alleiniger Tatherrschaft in Betracht komme, muss der Anschlussinhaber diese Behauptungen nach den allgemeinen zivoilprozessualen Grundsätzen beweisen.
Dass der Anschlussinhaber für die Behauptung, dass ein (konkreter) Dritter die Rechtsverletzung begangen habe, im Bestreitensfalle beweispflichtig ist, folgt demnach aus den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast (Fundstellen siehe oben im Urteil des OLG München). Auch in dem vom BGH entschiedenen Fall (I ZR 75/14) hatte der Anschlussinhaber für die Behauptung, dass er die Rechtsverletzung nicht begangen habe, als Zeugen diverse Familienmitglieder benannt, bei deren Zeugenvernehmung allerdings das Vorbringen des Anschlussinhabers zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht bewiesen wurde d.h. der Anschlussinhaber war bezüglich dieses Vorbringens beweispflichtig geblieben:
„Das gegenteilige Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien bereits am 18. Juni 2007 in den Urlaub gefahren und hätten vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, einschließlich Router und Computer, vom Stromnetz getrennt, habe durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen werden können.“ (BGH, Urteil vom 11.6.2015 , I ZR 75/14 – Tauschbörse III, Rz. 30)
Kommt der sekundär Darlegungsbelastete (also der Anschlussinhaber) der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maß nach, ist sein Vortrag unbeachtlich und er muss die von der beweisbelasteten Partei vorgetragenen Tatsachen – auch wenn diese nicht bewiesen sind – im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO (Geständnisfiktion) als zugestanden gegen sich gelten lassen (vgl. BGH, Urteil v. 17.1.2008, III ZR 239/06; LG Köln, Urteil v. 5.6.2013, 28 O 346/12; Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 138 Rn. 8b u. Vor § 284 Rn. 34c).
Die Entscheidung des OLG München deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
Bisherige obergerichtliche und landgerichtliche Rechtsprechung zur tatsächlichen Vermutung und zur sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers bei illegalem Filesharing
Neben dem Bundesgerichtshof und dem OLG München hatten zuvor auch das OLG Köln und das LG München I in diversen Urteilen entschieden, dass die vom Anschlussinhaber zur Widerlegung der gegen ihn streitenden tatsächlichen Vermutung aufgestellten Behauptungen nicht nur darzulegen, sondern (nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln) gegebenenfalls, d.h., sofern sie von der eigentlich beweisbelasteten Partei bestritten werden, bewiesen werden müssen:
„Demgegenüber sind bei Vorliegen einer tatsächlichen Vermutung nach allgemeinen Grundsätzen die Umstände, aus denen die ernsthafte Möglichkeit eines anderweitigen Geschehensablaufs gefolgert wird, von demjenigen, der die tatsächliche Vermutung erschüttern möchte, zu beweisen (BGH NJW 1952, 217; BGHZ 8, 239; BGH WM 2011, 925; Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 11. Aufl. 2013, Kap. F, Rn. 124).“ (LG München, Urteil v. 1.7.2015, 37 O 5394/14)
„Legt der Anschlussinhaber zugleich nachvollziehbar dar, dass durchaus andere die Rechtsverletzung ohne sein Wissen und Wollen begangen haben können und bleibt dies streitig, so hat er nicht die alleinige Verantwortlichkeit der anderen (Beweis des Gegenteils), aber die für ihre ernsthafte Möglichkeit sprechenden Umstände zu beweisen (Gegenbeweis).“ (OLG Köln, Urteil v. 14.3.2014, 6 U 109/13)
„Der Anschlussinhaber muss seine Verantwortlichkeit deshalb im Rahmen des ihm Zumutbaren substantiiert bestreiten sowie Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs – nämlich der Alleintäterschaft eines anderen Nutzers des Internetanschlusses – ergibt (vgl. BGH GRUR 2013, 511 Rn. 34 – Morpheus; Senat WRP 2012, 1007 Rn. 24; GRUR-RR 2012, 329 [339]).“ (OLG Köln Urteil vom 2.8.2013, 6 U 10/13)
„Diese Annahme wird dann erschüttert und die Vermutungsgrundlage beseitigt, wenn Umstände feststehen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs (Alleintäterschaft eines anderen Nutzers) ergibt.“ (OLG Köln, Urteil v. 16.5.2012, 6 U 239/11)
(c) 19.1.2016, Rechtsanwalt Christian Weber, Frankfurt am Main
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